Liebe Angehörige der Hizmet-Gemeinschaft,
ich möchte mich auf diesem Wege nochmals für die sehr schönen, tiefgründigen Ostergedanken und –wünsche, sowie für eure Gastfreundschaft und Offenheit beim Iftar-Mahl herzlich bedanken!
Ich habe heute Vormittag die wesentlichsten Teile des Grundlagenberichts der „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ bzw. des „Österreichischen Fonds zur Dokumentation von religiös motiviertem politischen Extremismus“ gelesen und bin sehr betroffen, dass in diesem Bericht (auch bei der Auswahl und Interpretation der Zitate von Gülen) die Innenperspektive von Mitgliedern der Hizmet-Gemeinschaft kaum vorkommt. Allein aus einer kritischen, problematische Aussagen fokussierenden und dekonstruierenden Außenperspektive lässt sich jedoch eine Bewegung, die von konkreten Menschen gebildet wird, nicht verstehen. Was bewegt diese Menschen, sich dieser Gemeinschaft anzuschließen? An welchen Werten und zentralen Aussagen von Gülen orientieren sie sich dabei (und lässt sich das überhaupt verallgemeinern)? Wie gehen sie mit problematischen Aussagen und Handlungen (die wir wohl bei allen Persönlichkeiten und in allen Organisationen finden würden) persönlich um? Könnte es sein, dass die Verfolgungssituation eine offene und selbstkritische Aufarbeitung der Geschichte der Hizmet-Bewegung erschwert?
Der Bericht mag vielleicht die historisch gewachsene und mit dunklen Schatten behaftete Situation in der Türkei beschreiben (das kann ich nicht beurteilen), jedoch keinesfalls die konkreten Menschen, die ich in der Hizmet-Gemeinschaft in Tirol in den vergangenen 22 Jahren durch mein Engagement im christlich-muslimischen Dialog kennen und schätzen gelernt habe – nämlich als Menschen der gesellschaftlichen Mitte, die Vielfalt positiv wahrnehmen und versuchen, Brücken des Verständnisses und des Respekts zu anderen zu bauen – mit viel Offenheit, Weite, Zuversicht und Vertrauen. Für mich war und ist immer spürbar, dass ihr das sehr ehrlich meint und im Alltag auch lebt. Ich hatte ja in den vergangenen 22 Jahren viele Gelegenheiten, einige von euch sehr persönlich kennen zu lernen: bei zahlreichen Gesprächen und projektbezogenen Kooperationen, bei gemeinsamen islamischen, christlichen und interreligiösen Feiern (oft auch im privaten Kreis) und gemeinsamen Dialog- und Bildungsreisen. Insofern schmerzt mich der Vorwurf im Grundlagenbericht, ihr würdet nach außen was anderes vertreten als nach innen. Das kann ich mit Blick auf all jene, die ich persönlich kennen gelernt habe, NICHT bestätigen – im Gegenteil. Ich habe euch als sehr authentisch (und zudem als sehr selbstkritisch) erlebt. Und dass Menschen für ihre persönlichen Überzeugungen und Werte einstehen, finde ich ganz normal. Wichtig sind für mich Offenheit, Respekt und Interesse an anderen Sichtweisen – und das lebt ihr Tag für Tag. Insofern seid ihr für mich meilenweit entfernt von jeglichem Extremismus. Für mich ist dieser Vorwurf nicht nachvollziehbar.
Liebe Freunde, ihr könnt mich gerne zitieren. Ich wollte meine persönliche Stellungnahme auch an die „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ senden, habe jedoch auf ihrer Homepage keine Kontaktmöglichkeit entdeckt. Vielleicht bietet sich euch eine Gelegenheit, persönliche Reaktionen auf den Grundlagenbericht der Dokumentationsstelle gesammelt zu übergeben.
Ich würde es sehr begrüßen, wenn es zu einem konstruktiven Gespräch mit Vertreter*innen der Dokumentationsstelle kommen würde, und wäre gerne bereit, daran teilzunehmen (falls das Treffen in Innsbruck stattfinden würde), um ein differenzierteres Bild der Hizmet-Gemeinschaft in Tirol zu ermöglichen.
In freundschaftlicher Verbundenheit
MMag. Patrick Nenning, BA
Katholischer Theologe & Soziologe